Insolvenzbedingter Untergang von Aktien
veröffentlicht am: 18. März 2021
Von einer „Veräußerung“ der Aktien ist auszugehen, wenn die AG bei Vermögenslosigkeit gemäß § 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG im Register gelöscht wird und das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs erlischt. Bei einer (früheren) Ausbuchung der Aktien aus dem Depot des Steuerpflichtigen durch die Depotbank wird der Tatbestand schon zu diesem Zeitpunkt verwirklicht.
Hintergrund: Wertverlust von Aktien aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
X hatte in 2009 Aktien einer inländischen AG zu 0,94 EUR je Aktie erworben.
In 2012 wurde über das Vermögen AG das Insolvenzverfahren eröffnet. Die AG wurde dadurch aufgelöst und im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgewickelt. Die Aktien wurden zum 31.12.2013 noch mit einem Kurswert von 0,029 EUR je Aktie im Depot des X ausgewiesen.
X beantragte für das Streitjahr 2013, den Verlust aus dem Wertverfall der Aktien (9.400 EUR) mit seinen in 2013 erzielten Aktienveräußerungsgewinnen zu verrechnen.
Das FA und ihm folgend das FG lehnten die Verrechnung ab. Der Verlust sei im Streitjahr 2013 (noch) nicht zu berücksichtigen. Mangels Beendigung des Insolvenzverfahrens in 2013 fehle es an einem endgültigen Verlust der Werthaltigkeit der Aktien. Diese seien dementsprechend nicht aus dem Depot des X ausgebucht worden.
Entscheidung: Keine Realisation des Verlusts
Der BFH teilt die Auffassung des FG. X hat in 2013 noch keinen Aktienveräußerungsverlust erzielt. Denn sein Mitgliedschaftsrecht an der AG war nicht erloschen. Auch sind die Aktien nicht aus seinem Depot ausgebucht worden. Der Kursverfall als solcher bewirkt noch keine Verlustrealisation und kann nicht einer Veräußerung gleichgestellt werden.
Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung
Der (allgemeine) Veräußerungstatbestand (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) und der hier allein in Betracht kommende Ersatztatbestand der Einlösung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG) erfassen das zivilrechtliche Erlöschen des Mitgliedschaftsrechts des Aktionärs aufgrund Auflösung, Abwicklung, Beendigung und Löschung einer insolventen AG nicht unmittelbar. Insoweit besteht eine ausfüllungsbedürftige planwidrige Regelungslücke, da der Gesetzgeber bei Aktien, die nach dem 31.12.2008 angeschafft wurden, ab 2009 alle positiven und negativen Wertveränderungen der Besteuerung unterwerfen will, dies im Fall des insolvenzbedingten Untergangs des Mitgliedschaftsrechts des Aktionärs jedoch nicht geschieht. Diese Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auf den Untergang von Aktien aufgrund einer insolvenzbedingten Beendigung und Löschung der AG zu schließen.
Keine analoge Anwendung mangels endgültigen Rechtsverlusts
Die analoge Anwendung bedeutet, dass das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs infolge der Vollbeendigung der AG erlischt. Erst dieser endgültige Rechtsverlust ist mit einer Veräußerung vergleichbar. Daran fehlt es jedoch im Streitfall. Denn das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs erlischt erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens, wenn die AG vermögenslos ist, im Register gelöscht wird und hierdurch als juristische Person erlischt. Zwar kann der Steuerpflichtige schon vor dem rechtlichen Untergang der Mitgliedschaft die Verfügungsmacht über die Aktien verlieren, wenn diese aus dem Depot ausgebucht werden. Er trägt dann die mit den Aktien verbundenen Kursrisiken und -chancen nicht mehr. Im Streitfall liegt jedoch auch eine Ausbuchung der Aktien der AG aus dem Depot des X noch in 2013 nicht vor. Unerheblich ist auch, dass – wie X behauptet – schon mit Beginn des Insolvenzverfahrens feststand, dass mit einer Auskehrung von Vermögen an die Aktionäre nicht mehr zu rechnen war. Die Revision des X wurde daher zurückgewiesen.
Unterschied zum Ausfall einer Kapitalforderung
Der endgültige Ausfall einer privaten Kapitalforderung führt zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust. Dieser Verlust entsteht, wenn endgültig feststeht, dass keine Rückzahlungen mehr erfolgen werden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel noch nicht aus. Etwas anderes gilt, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder aus anderen Gründen feststeht, dass keine Rückzahlung mehr zu erwarten ist (BFH v. 24.10.2017, VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831, Rz 19). Diese Grundsätze sind auf den Entzug von Aktien durch ein Insolvenzverfahren nicht übertragbar. Der Rückzahlungstatbestand gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 7 EStG wird nach anderen zeitlichen Anknüpfungspunkten als der Veräußerungstatbestand gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG verwirklicht, da für die Tatbestandsverwirklichung eine endgültig ausbleibende Tilgung (Rückzahlung) der Darlehensforderung und nicht das zivilrechtliche Erlöschen der Forderung maßgeblich ist. Anders ist dies beim Veräußerungstatbestand.
Hinweis: Neuregelung ab 2020
Die Entscheidung hat Bedeutung für Aktien, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind und bei denen der Untergang des Mitgliedschaftsrechts oder die Depotausbuchung in den Veranlagungszeiträumen von 2009 bis einschließlich 2019 stattfindet. Für Veranlagungszeiträumen ab 2020 wurde in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG geregelt, dass Verluste aufgrund einer Ausbuchung wertloser Aktien und eines sonstigen Ausfalls von Aktien steuerbar sind und einer eigenständigen Verlustverrechnungsbeschränkung (angehoben durch das JStG 2020 auf 20.000 EUR) unterliegen. Da die vorherige gesetzliche Lücke geschlossen wurde, bedarf es einer entsprechenden Anwendung des Veräußerungstatbestands aufgrund des rechtlichen Untergangs des Mitgliedschaftsrechts und bei einer Depotausbuchung ab 2020 nicht mehr.
BFH, Urteil v. 17.11.2020, VIII R 20/18; veröffentlicht am 11.3.2021.